Beziehungsideale: Schon angekommen?

Es gibt da dieses eine Konzept, mit dem man zwangsläufig konfrontiert wird, wenn man ein Kind bekommt. Klammer auf: meine ich zumindest. Es beschreibt die Annahme, dass so ein Kind einen ankommen ließe. Dass man mit Kind als wesentlichstes aller Ereignisse gen ewige Zufriedenheit segeln würde, um am Ende dieser Analogie auf dem Plateau der persönlichen Evolution anzukommen.

In meinem persönlichen Umfeld ist “das Ankommen” jedenfalls zumeist auch an das Szenario einer funktionierenden Beziehung geknüpft. Die funktionierende Beziehung, aus der überhaupt der Wunsch zu einem Kind ergeht. Die funktionierende Beziehung, aus der das Paar mit Kind zu einer Familie erwächst. Die funktionierende Beziehung, die dieses neue Leben ob all seiner Anstrengungspotenziale nicht nur übersteht, die mehr noch die persönliche Evolution der Eltern krönt.

So weit, so ideal. So unrealistisch?

Nur mal so nebenbei: Ich bin ganz bei Isabel, die vor kurzem hier einmal hinterfragt hat, inwieweit es in Beziehungen gilt, schlechte Zeiten auszusitzen anstatt bei der ersten aufziehenden, großen Krise das Handtuch zu werfen – in der Annahme, das Rotationsprinzip des digitalen Datings befördere rasch eine noch bessere, krisenfestere Variante dessen, was man gerade noch hatte.

Ich glaube aber auch, dass es gilt, zu hinterfragen, welche Vorstellungen wir eigentlich davon haben, wie Beziehung initial sein sollte, inwieweit diese Vorstellungen realistisch oder eher aus unserem Wunsch nach einem optimalen Lebenslauf geboren sind. Zumal: Was auf tönernen Füßen steht, kann vielleicht per se gar nicht auszuhalten sein. Oder sogar: sollte auch nicht ausgehalten werden – stattdessen aktiv innerhalb der Partnerschaft aufgearbeitet, also reflektiert werden. Und zwar vor allem und spätestens dann, wenn die Beziehung ob des Aushaltens dysfunktional gerät

Das überforderte Paar

Nun tut sich mit der Frage nach der Funktionalität einer Beziehung ein so weites Feld auf, dass ich an dieser Stelle lieber verweisen, als selbst herleiten will: auf eines der Bücher des amerikanischen Paar- und Sexualtherapeuten David Schnarch nämlich. In “Die Psychologie sexueller Leidenschaft” beschäftigt sich Schnarch ursächlich damit, warum Beziehungen dysfunktional geraten.

Das vorab: Schnarch geht diese Frage bzw. die Antwort darauf sehr optimistisch an, wie ich finde. Nämlich zum einen, in dem er erklärt, dass niemand zu Beginn einer Paarbeziehung beziehungsfähig ist, wir das vielmehr in der Beziehung selbst werden. Zum anderen, in dem er anhand etlicher Fallbeispiele aus seiner Praxis als Therapeut aufweist, dass Beziehungen meistens nicht daran scheitern, dass die Paare ihre ursprüngliche Zuneigung zueinander verlören. Beziehungen gerieten häufig dann in die Krise, wenn sich die Liebenden in ihren singulären Bedürfnissen aus dem Blick verlören. Wahre Intimität, sagt Schnarch weiter, sei entgegen der weitläufigen Idealvorstellung vom miteinander verschmelzenden Paar, nur zwischen zwei Menschen möglich, die als singuläres Ich autark blieben. Ergo: die Liebenden als zwei in sich autarke Wesen, die gerade ob ihrer Unterschiede einander zugetan sind.

Dass sich gerade letzterer Anspruch dieser Tage regelrecht verkehrt, erläutert wiederum die Soziologin Eva Illouz in diesem Artikel. Beziehungen seien zunehmend den Topoi “Rationalisierung” und “Technologie der Wahl” ausgesetzt. Daraus entspringe die Liebe als Konsumgut, wie Illouz schreibt, und Beziehungen, in denen das Streben zweier Individuen nach Genussmaximierung im Vordergrund stünde.

Diese Rezentrierung des Ich macht nichtberechnende Handlungsweisen wie Verzeihen oder Selbsthingabe schwer, denn sie bestärkt eine Fixierung auf die eigenen Vorhaben und Ziele unabhängig von jenen des anderen.

Was daraus folgt, ist medial hinlänglich beschrieben und hat ein Autor des SZ-Magazins bereits vor Jahren anhand Illouz’ Thesen niedergeschrieben: Freiheit als Schicksal nämlich.

Waren Partnersuche- und wahl im 19. Jahrhundert festen Ritualen unterworfen, sind wir heute frei von Konventionen, Mustern, Rollen – und hoffnungslos überfordert. Wurden gebrochene Liebesversprechen früher geächtet, verhält es sich heute umgekehrt: Das Stehenbleiben, das Nichtentwickeln, die lausig betriebene Selbstoptimierung werden sanktioniert. Wir haben eine Atmosphäre geschaffen, in der verbindliche Zusagen keinen Sinn mehr machen, was nichts daran ändert, dass wir uns wie verrückt danach sehnen. Ausgerechnet die romantische Liebe steht unserem Streben nach Unverwechselbarkeit im Weg.

“Ankommen” als grand finale der Selbstoptimierung

Und damit schließt sich dann wiederum auch der Kreis, den ich in diesem Post beschreiben und zur Diskussion stellen wollte. Nämlich, dass ich jenes eingangs beschriebene “Ankommen” dieser Tage zuweilen so begreife, als sei es als Ende der individuellen Optimierungsspirale angelegt. Von wegen: erst a, dann b. Erst Traumjob, dann Traumpartner, dann Traumkind. Das scheint mir vor allem ein sehr materiell gedachter Ansatz zu sein. Wer vor allem damit befasst ist, sich in einem Optimum einzurichten und das nach außen zu produzieren, verliert darüber mitunter vielleicht den Zugang zum Wesentlichen: dem Anderen nämlich.

Foto: Felix Russell-Saw